Es ist spannend wie ein Historienkrimi, zu ergründen, wie Übersetzungen und Kirchendogmen entstanden sind. Am Beispiel der Entstehung des Dogmas der „ewigen“ Verdammnis (bzw. der unendlich lange dauernden „Höllen“-qualen) soll deswegen im folgenden gezeigt werden, dass politische und gesellschaftliche Einflüsse die Theologie wesentlich stärker geprägt haben und prägen, als die Aussagen der Heiligen Schrift.
Während der Entstehung des Neuen Testament war Griechisch die einflussreiche Verkehrssprache um das gesamte Mittelmeer herum, obwohl das Zentrum der politischen Macht bereits Rom war. Griechisch war folglich auch die Sprache des Neuen Testaments. In den ersten beiden nachchristlichen Jahrhunderten verstanden also die Empfänger der Paulusbriefe genau, was Paulus mit den verwendeten Begriffen sagen wollte. Das Wort, welches Dr. Martin Luther über tausend Jahre später, teils mit Welt oder Zeit im Sinne von zeitlich begrenzt (40mal), und teils mit Ewigkeit und Abwandlungen (75mal) übersetzen sollte, hat im Griechischen nur einen Ursprung: „aion“. Das entsprechende Adjektiv heißt „aionion“.
Die erste Übersetzung ins Lateinische wurde nun nicht etwa im heutigen Italien geschrieben, sondern kam aus der nordafrikanischen römischen Provinz Karthago. Diese Provinz wurde 146 v.Chr. von Rom erobert und sprach fortan verstärkt Latein. Allerdings entfernte sich dieser lateinische Dialekt so weit vom römischen, dass der Geschichtsschreiber Polybius beklagte, selbst die sachkundigsten Römer könnten nur schwer den Wortlaut der früheren Verträge zwischen Rom und Karthago verstehen. Um Christi Geburt war der karthagische Dialekt wie eine Fremdsprache für die Römer.
In Karthago entstanden also erste lateinische Übersetzungen des griechischen Originals und hielten sich dort lange ziemlich unverändert. Sprachforscher behaupten, dass diese Übersetzungen von eher ungeschulten Kräften stümperhaft vorgenommen wurden. Als diese Übersetzungen auf italienischen Boden kamen, löste das Verwirrung aus, denn mit vielen karthagischen Begriffen konnten die Römer gar nichts anfangen, einige hatten eine andere Bedeutung erlangt.
Die alten karthagisch-lateinischen Übersetzer benötigten zwei Begriffe, um „aion“ zu übersetzen: Zum einen „seculum“, von dem unser säkular und z.B. das franz. siècle abstammt – zweifelsfrei im Sinn von Welt vom zeitlichen Standpunkt, als Generation oder Periode gemeint (im Unterschied zu gr. kosmos übersetzt mit mundus, die Welt im örtlichen Sinn). Der zweite benutzte Begriff war „aeternus“ , was wohl vor allem die Bedeutung von „ein Zeitalter oder lebenslänglich dauernd“ hatte. Wenn „aion“ in einem Satz zwei- oder dreimal vorkam, wie z.B. in der Wendung „für den Äon und für den Äon des Äons“ (Ps 10:16 ua), dann hat das Lateinische oft beides, aeternum und seculum: in das aeternum et in seculum secundi. Die beiden Worte hatten also eine mehr oder weniger ähnliche Bedeutung.
Diese Übersetzung gewann nun Einfluss im römischen Reich. Um zu verstehen, welche weitere Entwicklung sich an diese „Basisübersetzung“ anschloss, sollte man sich die politischen und gesellschaftlichen Randbedingungen vor Augen führen:
Politischer Machtpoker und der Mithras Kult
Wieso ist der 25. Dezember eigentlich ein besonderer Tag geworden? Keinesfalls, weil Jesus Christus an diesem Tag geboren wurde – denn es wird allgemein ausgeschlossen, dass sein Geburtstag im Dezember war. Nein, der Sage nach wurde ein gewisser Mithras an diesem Tag geboren, der auch Attribute des Sonnengottes Sol annahm, der an diesem Tag ebenfalls besonders verehrt wurde. Mitras ist eine persische, Mitra eine indo-iranische Gottheit, aus der schlussendlich Mithras wurde, der römische Gott des Lichts. Der Mithraskult dominierte über 200 Jahre die religiöse Welt des späten römischen Reiches, wo er insbesondere der Gott der Soldaten und Händler war. Viele Höhlenmalereien künden noch heute von diesem Mysterien-Kult, der nur Männern zugänglich war. 307 n.Chr. wird Mithras sogar vom römischen Kaiser (Caesar) Diokletian zum „Beschützer des Reichs (fautor sui imperii )“ ernannt. Erst 325 n.Chr. wurde von seinem Nachfolger Konstantin (dem Namensgeber von Konstantinopel) das „Konzil von Nicaea“ einberufen, in dem unter seiner Initiative eine Einigung mit dem neuen Christentum erzielt wurde und die römische Peterskirche gegründet wurde. Mit diesem rein machtpolitischen Schachzug und blutigen Schlachten unter dem Zeichen des Kreuzes hat er seinen Rivalen Maxentius, einen Anhänger des Mithraskults, besiegt.
Gegen 400 n.Chr. verschwindet der Name der alten Religion dann völlig, nachdem Theodosis 392 alle heidnischen Kulte verbietet. Die neue römisch-katholische Kirche vermittelte aber nicht etwa die ganz neuen und anderen Inhalte der Bibel, denn das hätte ihr ja unnötige Akzeptanzprobleme beschert. Statt dessen assimilierte sie, nur leicht verändert, die alten heidnischen Traditionen. Auch im Mithras-Kult wurde die Messe und eine Kommunion gefeiert, es gab eine heilsbringende Taufe, sieben Sakramente und die Lehre der Dreieinigkeit. Da Mithras als Sonnengott angesehen wurde, war der Sonntag („dies solis“) der ihm geweihte Tag. Das Christentum deutete ihn als „Tag des Herrn“ um und feierte Christus als „das wahre Licht“ und die „Sonne der Gerechtigkeit“. Mithras‘ Höhlentempel befand sich – auf den Hügeln des heutigen Vatikans und wurde 376 n. Chr. von der Kirche vereinnahmt. Der höchste Titel in der streng leistungsbezogenen mithrischen Hierarchie (von sieben Stufen) wurde „Pater“ genannt und wandelte sich zu „Papst“.
Wie stellten sich die Anhänger dieses Kultes nun das Ende der Welt vor? Es gibt eine große Schlacht, meinten sie, zwischen den Kräften des Lichts und der Finsternis. Die Erde wird zerstört und geht in einem Flammenmeer unter. Jene, die den Lehren der mithrischen Priesterschaft gefolgt sind, werden sich aber vorher den Geistern des Lichts anschließen können und sind damit gerettet. Diejenigen aber, die anderen Lehren gefolgt sind, landen zusammen mit Ahriman (dem Gegenspieler von Mithras, dem „Satan“) und den gefallenen Engeln in – einer „Hölle“ !
Auch die Wallfahrten und Pilgerreisen, die jetzt aufkamen, entsprachen herkömmlichen Kulten. Die Lichterprozession zu Mariä Lichtmess geht auf einen römischen Sühneumzug, das „Amburbale“, zurück. Der aufblühende Heiligen- oder Märtyrerkult hat seine Wurzeln in im heidnischen Heroen- und Totenkult. In der götzenhaften Marienverherrlichung lebte der uralte Göttinnenkult wie bei Isis mit deren Sohn Horus fort. Auch die Vorstellung einer göttlichen „Dreieinigkeit“ entspricht heidnischen Vorstellungen.
Um keine Zweifel über die römische Staatsform aufkommen zu lassen, wurde auch das offizielle Gottesbild in dieses Muster gepresst: Der christliche Gott sollte wie ein Caesar vor allem als unbarmherziger Richter gesehen werden, der das Gesetz gegeben hat und dem gehorcht werden musste. Die Beziehung zwischen Gott und den Menschen sollten daher gesetzlichen Charakter tragen. Im Unterschied zur Lehre der Bibel, die Gott in Seiner Beziehung zu den Menschen sieht, beginnt die römische Kirchenlehre mit dem Menschen und mit seiner Beziehung zu Gott. Der Mensch wird als gefallener und schuldiger Rebell hingestellt, der vor seinem Richter gelandet ist, statt entsprechend der Bibel, Gott in Seiner unermesslichen Liebe und Gnade darzustellen, deren sich der Mensch im Glauben erfreuen darf. Entsprechend dem römischen Machtsystem sollte auch Gott als die entscheidende Behörde, und der Mensch als Prüfling gesehen werden. Die römische, militärische Gewaltherrschaft wurden nun auf das neue Christentum übertragen. Es fehlte nur noch eine passende Lehre dazu, eine eingängige Theorie. Das besorgte ein karthagischer Intellektueller:
Tertullian
Um 160 n.Chr. in Karthago geboren, wurde Tertullian ein fesselnder Redner und Schriftsteller, ein scharfer Rhetoriker und ein geschickter Rechtsanwalt. Er war der erste, der damit anfing, sich systematisch daran begab, eine „christliche“ Lehre in lateinischer Sprache aufzubauen und so die Grundlagen einer lateinische Terminologie schuf, die sehr großen Einfluss auf das theologische Denken nach ihm haben sollte.
Bezeichnungen wie Trinität (Dreieinigkeit), Priester, Sakrament, verdammen (damnare), verloren (perditum) und „Hölle“ brachte er in die Bibel bzw. mit ihr in Zusammenhang. Sie sind alle sehr verschieden von den griechischen Wörtern des Grundtextes und daher als unbiblisch zu bezeichnen.
An dem Beispiel „Hölle“ soll das gezeigt werden. Der Begriff „Hölle“ hat seinen Ursprung im Namen der skandinavischen Todesgöttin „Hel“ (daher das engl. hell). „Hölle“ wurde und wird bis heute für das griechische Hades verwendet. Was verstanden nun die ersten, griechisch geprägten Christen unter diesem Begriff Hades (gr. aides)? Diese Bezeichnung wurde auch in der damals hunderte von Jahren alten orphischen Dichtung verwendet, als griechisches Kulturgut damals jedem Kind bekannt. Hades (wörtlich: Nicht-Wahrnehmbares) war dort der Gott der Unterwelt und wurde bald synonym für die Unterwelt selbst genutzt. In den Hades kamen demnach alle, die von der „Oberwelt“ Abschied nehmen mussten, also die Toten. Entscheidend ist nun, wie man darüber gedacht hat, was dort passiert. Die Antwort ist einfach: Nichts! Man ging davon aus, dass die Seelen der Abgeschiedenen dort in trostlosem Stumpfsinn hausen, ohne Erinnerung an die Vergangenheit auf der Oberwelt.
Im Neuen Testament wird Hades in der eigentlichen Wortbedeutung verwendet, um zu erklären, wo die Seele bleibt, wenn sich Körper (Rückkehr zur Erde) und Geist (Rückkehr zu Gott, s.o.) durch den Tod trennen. Das „Konkordante Neue Testament“ (KNT) übersetzt Hades mit der ursprünglichen Wortbedeutung „Ungewahrtes“, und drückt damit gut aus, was gemeint ist: Man kann die Seele nicht mehr wahrnehmen.
Erst der kirchliche Chefideologe Tertullian und seine geistigen Nachfolger machten daraus eine „Hölle“, ähnlich der im Mithraskult. Sie wollten mit einen Ort drohen können, in dem die kirchenuntreuen Menschen bei vollem Bewusstsein unendlich lange gequält werden.
In meisterhafter Art entwarf er nach diesem Muster weitere Formeln und kirchliche Lehrsätze. Nach und nach wurde so der Charakter der christlichen Lehre verändert und der Weg in ein römisches Dogmensystem gebahnt.
Statt den Menschen stufenweise mit den Wegen und den Willen Gottes bekannt zu machen, müssen sie, ohne eine Frage aufwerfen zu dürfen oder eine Erörterung führen zu können, die in starre und kristallharte Form gegossene Lehrmeinung der Kirche übernehmen.
Das war also der geistige Nährboden, auf dem diese karthagisch-lateinische Übersetzungen fielen.
Hieronymus und die „Vulgata“
Die provinzialischen Spracheigenheiten der afrikanischen Bibel wurden nun notdürftig zurecht geflickt, der Text nach den in Rom gebrauchten griechischen Abschriften zusammen gestümpert, und das Resultat war unbeschreibliche Verwirrung. Man behauptete, es gäbe wohl so viele Übersetzungen wie Handschriften, wenngleich das zweifellos übertrieben ist.
Um Ordnung in das Chaos zu bringen, beauftragte der römische Bischof Damasus 382 den römischen Gelehrten Hieronymus mit der schwierigen Aufgabe, eine verbindliche Übersetzung zu schaffen. Er wurde in Bethlehem sesshaft und studierte alle alten Handschriften des hebräischen Alten und des griechischen Neuen Testaments, die er in die Hände bekommen konnte. Von 386 bis 405 beschäftigte sich Hieronymus bestimmt sehr gewissenhaft mit der Revision der lateinischen Bibeln. Das Ergebnis war die „Vulgata“ (d.h. „einfach“, das Latein des normalen Volks).
Was machte nun Hieronymus mit dem griechischen Wort „aion“ bzw. den ihn vorliegenden Übersetzungen seculum und aeternum? In 128 Stellen kommt das griechische aion vor, 101mal übersetzte er mit seculum, 27mal mit aeternum. Sooft uns in der Offenbarung des Johannes „für die Äonen der Äonen“ begegnet, übersetzte er z.B. mit „für die secula der secula“ im Sinn eines begrenzten Zeitraums. Zur Erinnerung: Luther übersetzte 75mal mit Ewigkeit und 40mal mit Welt (bzw. teilweise weder noch).
Das zugehörige Verb „aionion“, das 67mal vorkommt, übersetzte Hieronymus 65mal mit aeternus und nur 2mal mit secular (2. Tim. 1,9, Tit. 1,2). 43mal kommt aionion in Zusammenhang mit Leben vor. Hieronymus übersetzt hier stets mit aeternus, da er ja auch schlecht mit „säkulares Leben“ (weltliches Leben) übersetzen konnte.
An vielen anderen Stellen kann man ebenfalls erkennen, dass Hieronymus mal mit aeternum und mal mit seculum, bzw. deren Adjektiven übersetzte, ohne ein System erkennen zu lassen. Will man ihm nicht unterstellen, dass er leichtfertig mit Gottes Wort umgegangen ist, lautet die Folgerung, dass auch Hieronymus beide Begriffe synonym (d.h. mit gleicher Bedeutung: zeitlich begrenzt) benutzt hat, denn nur dann wären sie so austauschbar.
Der Einfluß der Mächtigen
Justinian, der größte unter den oströmischen Kaisern, herrschte von 527 bis 565 in Konstantinopel. Im Jahr 540 traf er Vorbereitungen des berühmten Konzils, das später in seiner Hauptstadt tagte. Es war bei dem Kaiser unbestrittene Sache, daß gewisse Lehren unterdrückt werden mussten. In einem Schreiben an den Patriarchen Mennas von Konstantinopel legt er den Stand der Dinge dar und erörterte die kirchlichen Lehren mit großer Geschicklichkeit. Insbesondere verlangte er, es müsse mit unmissverständlicher Klarheit ausgesprochen werden, dass das Leben der Heiligen immerwährend sei und gleichfalls die Verdammnis der Verlorenen. Das war demnach durchaus nicht allgemeine Ansichtssache.
Die biblische Botschaft von einem liebenden Gott, der niemanden „ewig“ verflucht, verbannt oder verdammt, sondern alle Menschen zu sich zurückholen wird, wurde nun als Irrlehre hingestellt: „Wenn einer sagt oder meint, die Bestrafung der Dämonen und der gottlosen Menschen sei zeitlich und werde zu irgendeiner Zeit ein Ende haben […], der sei verflucht“. Damit hatte die Staatskirche eine der schärfsten Waffen gegen alle in der Hand, die ihrer Lehre nicht Folge leisten wollten: Das latente Drohen mit ewiger Verdammnis, die die Staatskirche in den folgenden eineinhalb Jahrtausenden nachdrücklich einsetzte. Sie wurde auch zur geistigen Grundlage der Inquisition und der Kreuzzüge, die Millionen von Menschen grausamste Qualen bereitet und das Leben gekostet haben. Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Namen Gottes. Welche Blasphemie!
Das griechische aion bzw. die lat. seculum und aeternum wurden außerdem so per Edikt zu „unendlich“ umgedeutet. Entgegen dem griechischen Urtext und wohl auch entgegen dem Sinn von Hieroymus‘ Vulgata.
Latein blieb die Umgangssprache der römisch-lateinischen Kirche, und das Studium der Bibel war nur kirchlichen Führern vorbehalten. Die Kirche begnügte sich damit, ihre „Botschaft der Bibel“ dem Volk vornehmlich in lateinischen Predigten (die die Zuhörer nicht verstanden) oder in Form von Bildern weiterzugeben (Heiligenfiguren, Fensterglasmalereien). Vor den staunenden Kirchenvolk wurde ein kultisches Theater, genannt Messe, inszeniert. Das Volk wurde bewusst dumm gehalten und von den Lehren der Bibel getrennt. Fast alles reduzierte sich auf Geschichten des Alten Testaments und den Gleichnissen von Jesus. Von dem Heilsplan Gottes für alle Menschen erfuhren sie kaum etwas. Daran krankt die Theologe bis heute.
Im Unterschied dazu kann heute allerdings jeder selbst den Wahrheitsgehalt von Lehren überprüfen, die Organisationen verbreiten, denn jeder Interessierte hat Zugang zu sehr guten urtextgetreuen Übersetzungen bis zum Wortlaut des Originaltextes selbst.
Die nachrömische Zeit
Über tausend Jahre konnte sich nun Tertullians verfälschendes Begriffsgebäude zusammen mit der Vulgata in der Theologie fest verwurzeln. Die Versuche im Mittelalter, Teile der Bibel in der jeweiligen Landessprache im Volk zu verbreiten, stießen bei dem mächtigen römischen Klerus auf großen Widerstand. Sie befürchteten, dass das Volk die Bibel nicht nach dem offiziellen Verständnis auffassen und auslegen würde. Nicht zu unrecht!
Im Jahre 1199 wurden in Lyon einige Menschen verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt, weil sie Teile der Bibel in französischer Sprache unter das Volk gebracht hatten. Die Märtyrer gehörten zu den Waldensern, einer evangelischen Bewegung, die wahrscheinlich im elften Jahrhundert entstanden sind.
In England dauert es noch bis zum 14. Jahrhundert, bis die Bibel als Ganzes ins Englische übertragen wurde. Diese Arbeit wurde von dem britischen Gelehrten und Priester John Wycliff ausgeführt. Unter großer Geheimhaltung (aus Furcht vor kirchlichen Behörden) wurde diese handgeschriebene englische Bibel viele Male kopiert. Die fertigen Kopien gab Wycliff seinen Nachfolgern mit, die als Laienprediger ausgesandt wurden, um in den Dörfern und Städten aus diesen Bibeln vorzulesen und zu unterweisen. Viele von ihnen landeten auf dem Scheiterhaufen. Wycliff übersetzte „in die Äonen der Äonen“ übrigens mit „to worldis of worldis“ (Welten der Welten).
Erst mit der Einnahme Konstantinopels, dem damaligen Mittelpunkt der griechischen Gelehrsamkeit, durch die Türken 1453 und der damit einhergehenden Vertreibung zahlloser Gelehrter ins europäische Ausland, wurde die griechische Sprache wieder modern. Bis dahin, also fast ein Jahrtausend, war das Griechische in den meisten Ländern Europas fast unbekannt oder vergessen, sogar in Italien, das es einst völlig beherrscht hat.
In England begann man erst 1484 Griechisch öffentlich zu lehren, und zwar in der Universität Oxford, wo Erasmus, der große niederländische Gelehrte Griechisch lernte und dann Professor dieser Sprache in Cambridge wurde. Sein erstes griechisches Neues Testament gab er 1516 heraus. Die erste griechische Grammatik seit wohl mehr als ein Jahrtausend wurde 1476 in Mailand veröffentlicht, das erste Lexikon vier Jahre später.
Man könnte meinen, nun aber, wo doch die Intellektuellen wieder etwas mit dem griechischen Urtext anfangen können, würden die Begriffe des Tertullian und seiner geistigen Nachfolger hinweg gewischt werden. Zu spät! Die unheilvolle Saat der unbiblischen Theologie ist schon lange aufgegangen und zu einem Baum der Unkenntnis geworden. Das hat es den Übersetzern fast unmöglich gemacht, unvoreingenommen an die Texte heranzugehen.
Hinzu kommt der Einfluss der Kunst:
Völlig losgelöst von biblischen Grundlagen spuken besonders seit den beeindruckenden Darstellungen mittelalterlicher Künstler, beispielsweise des Malers Hieronymus Bosch (1450-1516) oder des Dichters Alighieri Dante (1265-1321), alptraumhafte Horrorphantasien über eine Hölle in den Köpfen der Menschen umher. Dort werden schreiende Menschen enthäutet, ihrer Eingeweide entledigt, diverse Körperteile werden entfernt, sie werden gekocht oder von Fratzenwesen auf andere Art abgestraft. Interessant ist dabei, dass Dante beim Schreiben seiner „Göttlichen Komödie“ Motive aus dem Werk eines islamischen Autors aufgriff („Die mekkanischen Offenbarungen“ von Ibn al-Arabi). Das wurde wiederum von der seit dem 8. Jh. bekannten muslimischen Legende „Al-mir’aj“ beeinflusst und von den Mandalas des Hinduismus (später Buddhismus) und ihren bunten Darstellungen von Himmel und Hölle (taz vom 17.11.07).
Nach der Lehre der katholischen Kirche führt die Quälerei aber nicht zum schnellen Tod, denn ein Ende soll es ja nicht geben. Demnach sollte man tunlichst im Sinn einer „unendlichen Verdammung“ übersetzen, es sei denn, man fürchtet den Bann der Kirche bzw. die Ablehnung durch weite Kirchenkreise in heutiger Zeit nicht.
Selbst Luther, dem im Dezember 1521 bei seiner Übersetzungsarbeit in Rekordzeit (Fertigstellung im März 1522) die griechischen Texte vorlagen, übersetzte unsystematisch aber in einem kraftvollen und sehr prägenden Deutsch. Neben vielen von der lateinischen Theologie geprägten Begriffen benutzte er zur Übersetzung von aion neben „Welt“ das deutsche Wort „Ewigkeit“.
Das war an sich nicht weiter verwerflich: Das Griechische und Deutsche haben als gleichen Ursprung das Indo-Germanische und daher viele Gemeinsamkeiten. Die gotische Übersetzung, in der sich Überreste einer germanischen Sprache finden lassen, die um 350 gesprochen wurde, hatte als Grundlage den griechischen Text, und war daher frei von den lateinischen Verfälschungen. Wie wurde nun hier aion übersetzt? Bis auf wenigen Ausnahmen mit aiws. Das entspricht genau dem lateinischen aevum und dem griechischen aion. Der nahe Zusammenhang des gotischen aiws nicht nur mit aevum und aion, sondern auch mit dem althochdeutschen ewa (Lebenszeit) und mit dem neueren ewig, wird von jedem Sprachforscher bestätigt. In „Wahrigs Wörterbuch“ wird der Zusammenhang von ewa zu Ehe hergestellt. Zahlreiche Dokumente in der althochdeutschen Sprache des Alltags bestätigen die Verwendung von ewa=ewig als langen, aber begrenzten Zeitraum.
Auch im normalen Sprachgebrauch („ich warte ja schon eine Ewigkeit“) ist nie ein unendlich langer Zeitraum gemeint. Ewig wäre also ein gutes deutsches Wort für die Übersetzung von „äonisch“ gewesen, wenn es nicht unter dem Einfluss der lateinischen Kirchensprache den Sinn einer Unendlichkeit angenommen hätte, dem man ihm heute schwer wieder nehmen kann. Festzuhalten ist aber, daß allein die Theologie den Gedanken einer Unendlichkeit bzgl. der Zeit in die Welt gesetzt hat und dazu vorhandene, anders verwendete Begriffe gewaltsam umgedeutet hat.
Ausblick
Ein erfreuliches Zeichen dafür, dass die biblische Bedeutung von aion und aionion sich zunehmend und schrittweise auch in der Theologie unserer Tage durchzusetzen beginnt, tritt uns beispielsweise (vorsichtig formuliert) im „Theologischen Begriffslexikon zum NT“ (Brockhaus, Wuppertal) und in dem kleinen Neutestamentlichen Wörterbuch von Ralf Luther (Furche-Verlag, Berlin) entgegen. In Letzterem heißt es unter „Ewig, Ewigkeit“:
„Äon bedeutet nicht die endlose Dauer, sondern Zeitalter, Zeitlauf. Es wird, wenn von einem Zeitlauf die Rede ist, auch immer an die besondere Art und Prägung, an die eigentümlichen Umstände, an die Bestimmung dieses Zeitlaufs gedacht. […] Dieser Äon hat sein Gepräge durch die in ihm herrschenden finsteren Mächte, durch die dämonischen Züge seines Gesichts, durch die fortschreitende Entgöttlichung seiner Zustände. […] Auf den kommenden Äon sind im Neuen Testament alle Augen gerichtet. – Weil man gemeinhin unter dem Äon den nächsten, göttlichen, von Christus heraufgeführten Äon versteht, bedeutet aionios (ewig) das, was aus diesem neuen Zeitlauf stammt, was zu ihm gehört, was durch seine Art und Richtung bestimmt ist. „Ewiges“ Leben bedeutet im Neuen Testament durchweg: das Leben des kommenden Zeitlaufs. „Ewige Herrlichkeit“ bedeutet den Glanz, die Hoheit, die dem kommenden Äon eignet (2. Tim. 2,10). Das „ewige“ Reich ist das Reich den neuen Weltlaufs (2.Petr. 1,11). „Ewige Seligkeit“ bedeutet das Heil des kommenden Zeitalters (Heb. 5,9).[…]“
Vieles ist der Schrift „Was versteht die Heilige Schrift unter Ewigkeit“ von Alexander Thomson entnommen.